28. Januar 2014 - Therapie der Migräne: Erwartungshaltung des Patienten so wichtig wie der Wirkstoff

Gemeinsame Presseinformation der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN)

Positive Informationen zu Arzneimitteln können die Wirksamkeit der Medikamente verstärken und sollten von Ärzten gezielt zum Nutzen ihrer Patienten eingesetzt werden. Dies fordern Experten der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG), bekräftigt durch eine aktuelle Studie mit einem Migränemittel von Wissenschaftlern der Harvard-Universität. „Die Untersuchung ist für alle Ärzte, die Medikamente verordnen, enorm wichtig, da sie zeigt, wie sehr die pharmakologische Wirkung einer Substanz durch den vom Arzt angekündigten Wirkeffekt beeinflusst werden kann“, betont die Neurologin Stefanie Förderreuther, Generalsekretärin der DMKG und Oberärztin an der Neurologischen Klinik der Ludwig-Maximilian-Universität München.

Die Harvard-Wissenschaftler hatten Migränepatienten nach dem Zufallsprinzip entweder ein Placebo oder eine Standardarznei gegeben. Der Umschlag, in dem die Pillen enthalten waren, war entweder negativ als „Placebo“, positiv mit "Arzneimittel" oder unsicher mit "Arzneimittel oder Placebo" beschriftet worden. Die Wirksamkeit sowohl des Placebos als auch des wirkstoffhaltigen Medikaments (Verum) wurde durch die positive Erwartung gesteigert. Der Placebo-Effekt blieb sogar dann erhalten, wenn der Patient wusste, dass er ein Placebo nimmt. Negative Erwartungen hingegen verschlechterten die Therapie und verringerten sogar die Wirkung des Verums bis auf Placebo-Niveau. Die Information des Arztes zum Medikament – ob positiv oder negativ – erwies sich somit als ebenso relevant für die Therapie wie die Medikation.

Für die kürzlich im Fachblatt Science Translational Medicine veröffentlichte Studie wurden bei 66 Patienten, die schon seit langer Zeit an Migräne litten, insgesamt 459 Kopfschmerzattacken unter sieben verschiedenen Bedingungen dokumentiert. Die erste Untersuchung diente dabei der Ermittlung eines Ausgangswertes für das Ausmaß der Schmerzen ohne jegliche Behandlung, jeweils 30 Minuten und 2,5 Stunden nach Beginn der Kopfschmerzen. Bei den sechs folgenden Attacken erhielten die Patienten randomisiert zur Hälfte eine häufig verschriebene Migräne-Arznei oder ein Placebo – in diesem Fall Pillen mit dem exakt gleichen Aussehen, jedoch ohne aktiven Wirkstoff. Sie wurden angewiesen, diese Pillen eine halbe Stunde nach Beginn der Kopfschmerzen einzunehmen. Variiert wurde außerdem die Information auf dem Umschlag, in dem die Pillen enthalten waren.

Je positiver die Information, desto größer der Therapieerfolg

Es bestätigte sich die Hypothese der Autoren um Professor Rami Burstein vom Beth Israel Deaconess Medical Center der Harvard Medical School, dass sich das klinische Ergebnis der Behandlung bei akuter Migräne sowohl mit Placebo als auch mit Verum verbessert, wenn die begleitende Information von „negativ“ über „unsicher“ zu „positiv“ verändert wird. Auf einer zehn Punkte umfassenden Skala besserten sich die Schmerzen der Patienten, die Placebo oder Verum in einem Umschlag erhielten, auf dem „Placebo“ stand, in den zwei Stunden nach Einnahme um durchschnittlich 26,1 Prozent. Pillen in Umschlägen, die mit „Arzneimittel oder Placebo“ beschriftet waren, besserten die Schmerzen im Mittel um 40,1 Prozent – und damit ebenso gut wie eindeutig mit „Arzneimittel“ gekennzeichnete Pillen (39,5 Prozent). Wie Burstein erklärt, ist eine der Implikationen seiner Studie, dass die Arznei wirksamer wird, wenn Ärzte bei ihren Patienten positive Erwartungen wecken.

Placebo-Effekt trotz korrekter Information

Wie zu erwarten, war die Abnahme der Schmerzen unter Verum mit 47,6 Prozent deutlich größer als unter Placebo (20,7 Prozent). „Besonders interessant ist aber, dass der Placebo-Effekt selbst dann erhalten bleibt, wenn ein Patient weiß, dass er Placebo nimmt“, hebt Förderreuther hervor. In der Studie waren nämlich die Schmerzen von Placebo-Empfängern, die die Information „Placebo“ erhalten hatten, eindeutig geringer gewesen, als in der Anfangsbedingung ohne Behandlung.

Wie die Forscher errechneten, trug der Placebo-Effekt unter jeder der drei Arten von Informationen mehr als 50 Prozent zur Wirksamkeit der Behandlung bei – der Placebo-Effekt war somit robuster als die pharmakologische Wirkung.

„Offenbar wird der Placebo-Effekt nicht nur von der eigenen Erwartungshaltung bestimmt, sondern auch von früheren positiven Lerneffekten, die sich allein aus dem Vorgang, eine Tablette einzunehmen, ableiten“, interpretiert dies Förderreuther. Umgekehrt zeige die Studie, dass die Wirkstärke von Verum auf Placebo-Niveau reduziert werden kann. „Wer glaubt, durch die Einnahme einer Tablette mit einem pharmakologisch definierten Wirkmechanismus standardisierte und immer gleiche Effekte zu erzielen, irrt“, sagt die Neurologin. Offenkundig passiere weit mehr an unspezifischen Effekten, die auf ganz anderen Wirkmechanismen basieren. Diese Mechanismen zu erforschen und die Ergebnisse schnellstmöglich in die Praxis zu bringen, sei eine Herausforderung, der sich die Neurologie stellen sollte, so Förderreuther.

Quelle:

Kam-Hansen S et al. Altered placebo and drug labeling changes the outcome of episodic migraine attacks. Sci Transl Med. 2014 Jan 8;6(218):218ra5

Weitere Meldungen zum Placebo-Effekt:

http://www.dgn.org/pressemitteilungen/oxytocin-und-placebo.html

Fachlicher Kontakt bei Rückfragen
PD Dr. med. Stefanie Förderreuther Neurologische Klinik der LMU München Ziemssenstrasse 1, 80336 München Tel.: +49 (0) 89 5160 2459, E-Mail: Steffi.Foerderreuther@med.uni-muenchen.de

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